Sonntag, 9. Januar 2011

10 Der Tag am Meer

Samstag, der 8.1.2011, 5:15 Uhr. Während sich in Deutschland langsam die Discotheken füllen, klingelt bei uns der Wecker. Wir haben heute eine Verabredung mit echten Delphinen. Kurz vor sechs erhalten wir ein rudimentäres Frühstück. Dabei stellt sich heraus, warum der Kaffee hier so gruselig schmeckt: Es handelt sich um Nescafé! Und das, obwohl die afrikanischen Kaffeeplantagen gar nicht weit weg sind. Kurz nach sechs holt uns ein sehr redseliger Fahrer ab. Wie immer geht es um Politik, die unfähige Regierung, den Beschiss im Allgemeinen und das eigene Elend im Besonderen. Wir fahren wieder in den Süden, durch Port Louis durch bis nach Tamarin. Es herrscht noch relativ wenig Verkehr und unser Fahrer heizt durch die Gegend, dass einem Angst und bange werden kann. Gegen halb acht kommen wir am Startpunkt der Reise an. Rund zwei Dutzend Bootseigner teilen sich die Kundschaft auf. Die kleinen Motorboote fassen jeweils 5-10 Personen. Wir sind zu neunt, darunter eine Familie aus „Capetown“, also Kapstadt und zwei weitere Südafrikaner aus Durban. Sie ist etwa 21, sehr hübsch und ein bisschen arrogant und Er dürfte etwa vier bis fünf Jahre älter sein, auch sehr hübsch, aber mit nur einem Bein. Stattdessen baumelt eine Metallprothese am Kniestumpf des rechten Beines. Vermutlich ein Motorradunfall. Die beiden Crewmitglieder tragen ihn an Bord, weil seine Prothese nicht nass werden darf.

Undressierte, echte Delphine auf der Flucht vor Touristen
Und los geht’s! Mit zwei mal 75 PS jagt das Boot durch die Wellen. Nach ein paar Minuten stoppt unser korpulenter Fahrer die Maschinen und wir pirschen uns langsam in die Nähe vieler anderer Boote, die alle dasselbe suchen: Delphine. Und plötzlich sehen wir sie: etwa 4-5 relativ kleine Flipper pflügen durch die Wellen. Dann sind sie wieder weg. Unser Fahrer gibt wieder Vollgas und steuert eine weitere Bootsgruppe an. Hier lohnt sich´s schon eher. Etwa 30-40 Delphine tauchen regelmäßig auf, um Luft zu holen. Nun dürfen wir von Bord, um die Tiere von ganz Nahem zu erleben. Anfassen ist aber verboten. Nach und nach gehen einige der Tourteilnehmer ins Wasser. Aus Sicherheitsgründen führen sie einen Ballon mit, auf dem „Diver under water!“ steht, damit sie nicht von den anderen Booten überfahren werden, was wohl des öfteren vorkommt und auch mal tödlich enden kann. Wieder an Bord, schwärmen die Schnorchler von den tollen Eindrücken, müssen aber zugeben, dass die Delphine doch um Einiges schneller sind als wir Menschen. Kurzum: Kaum sind wir im Wasser, sind die lieblichen Meeressäuger auch schon wieder weg. Und damit beginnt ein etwa einstündiges Katz- und Mausspiel. Unser Fahrer sichtet irgendwo Delphine, fährt ein Stück außen rum und lässt seine Gäste just in dem Moment ins Wasser platschen, wenn die Viecher vorbei geschwommen kommen. Auch unser Einbeiniger geht ins Wasser. Dazu nimmt er die komplette Prothese ab und humpelt auf einem Bein an den Bootsrand. Er braucht verständlicherweise nur eine Flosse. Im Wasser kann er sich ebenso geschickt bewegen wie alle anderen.
Irgendwann fragt man Dagmar und mich, warum wir nicht ins Wasser wollen. Dagmar will nicht, weil sie vor den vielen Booten Angst hat und ich kann nicht, weil meine Badehose in Dagmars Rucksack steckt. Umziehen vor all den Leuten ist nicht drin – also bleibe ich an Bord und beobachte das Ganze aus sicherer Entfernung. Irgendwie habe ich da am Morgen falsch geschaltet. Eigentlich hätte ich in Badesachen losfahren sollen und mich erst am Ende wieder anziehen wollen. Aber morgens um halb sechs ist die Welt bei mir eben noch nicht in Ordnung...
Inzwischen ist es neun Uhr und wir fahren weiter. Diesmal stoppt das Schiff, um uns das Schnorcheln zu ermöglichen. Viele bunte Fische gibt es zu sehen und alle – außer mir – sind im Wasser, um sich das bunte Treiben anzusehen. Endlich kann ich mal meine Unterwasserkamera ausprobieren. Daggi filmt etwa 30 Sekunden unter Wasser, nimmt aber leider den Finger nicht von der Linse, so dass die cineastische Ausbeute eher gering ist. Immerhin ist die Kamera immer noch dicht. Auch hier wird es nach einer knappen Stunde langweilig und wir fahren daher an die Anlegestelle zurück. Hier wechseln wir das Boot, um nun als Nächstes eine unbewohnte Insel aufzusuchen. Unser neues Boot ist ein Schlauchboot, das ebenfalls mit zwei 75-PS-Außenbordern angetrieben wird. Die etwa zehnminütige Fahrt wird durch einen Stop an einem Korallenfelsen unterbrochen, auf dem ein Weihnachtsbaum geschmückt wurde. Warum nicht. Andere Länder, andere Sitten. Dann rast das Boot weiter, ohne die geringsten Rücksichten auf unsere Bandscheiben zu nehmen, die auch hier wieder fürchterlich leiden müssen.
Koralle, Koralle!

 
Das Grillfest auf der Insel wird dann der Höhepunkt des Tages. Außer uns haben auch noch Dutzende andere Boote angelegt. Zu jeder Reisegruppe gehört ein eigener, überdachter Platz mit einem Tisch in der Mitte und Baumstämmen ringsherum als Sitzplätze. Kaum an Land, werden wir von den üblichen Strandverkäufern umringt. Daggi findet ein sehr schönes Tuch, das man sich sehr clever zusammenknoten kann, um es als Kleid oder Umhang zu benutzen. Die Verkäuferin führt das beeindruckend freundlich direkt auf Dagmars Körper vor. Das Tuch kostet nur 240 Rupien, das sind gerade mal sechs Euro. Da lohnt sich das Handeln nicht. Ich gebe 250 und bekomme sogar die zehn Rupien Wechselgeld zurück, die ich gar nicht haben will. Und danach lassen uns die Verkäufer auch völlig in Ruhe. Wer noch was kaufen will, muss sich selbst auf die Suche machen. Unsere Gruppe ist inzwischen neu zusammengewürfelt worden. Ein etwa 75-jähriger Italiener mit seiner kreolischen Frau indischer Abstammung, deren Sohn und Schwiegertochter sowie zwei Kindern um die sechs Jahre stellt die größte Personengruppe. Zwei französische Paare sowie eine weitere kreolische Familie komplettieren unseren Rastplatz. Es wird langsam unerträglich heiß und ich beschließe, nun endlich meine Badesachen anzuziehen. Es hängt vielleicht auch ursächlich damit zusammen, dass die Crew uns einige kühle Getränke, darunter auch BIER und WEIN auf den Tisch gestellt hat. Ihr glaubt nicht, wie toll so ein eiskaltes Bier morgens um elf schmeckt, wenn einem die Sonne auf den Schädel brummt. Das Umziehen wird dann sehr schmerzhaft, denn meine Schuhe sind noch in einem Korb auf dem Schiff und der Weg ins Unterholz ist steinig und dornig. Und heiß. Sehr heiß. Sehr, seeeehr heiß. Nach ein paar Metern ist es mir plötzlich egal, ob mir die halbe Insel auf den entblößten Allerwertesten glotzt.

Und jetzt kann ich endlich auch ins Wasser! Das Meer ist trotz der Motorboot-Armada sehr sauber – ich kann sogar meine Füße sehen! Kaum wieder an Land, beginnt die Grillparty erst richtig. Unsere Crew hat mittlerweile in zweiter Reihe einen Grill aufgebaut und ein paar Köstlichkeiten vorbereitet. Das Ganze ist wirklich perfekt organisiert. Je nach Geldbörse sind die Grillstände unterschiedlich luxuriös eingerichtet. Eine etwas größere Gruppe hat sogar richtige Stühle und Tische, eine Liveband und einen Grill, auf dem einige Hummer ihr Leben lassen. Bei uns gibt’s erstmal Grillspieße mit Krabben, Thunfisch, Champignons, Mais und Paprika. Einfach lecker. Bis zum Hauptgang dauert es noch eine Weile. Wir haben also Zeit, uns etwas näher zu kommen, was uns aufgrund der zunehmenden Alkoholwirkung auch recht schnell gelingt. Nach einem weiteren erfrischenden Bad kommt der Hauptgang: Krautsalat mit diversen Dressings, gegrilltes Hühnerfleisch und gegrillter Fisch sowie gegrillte Hot Dogs. Von Allem ist mehr als genug da und wir öffnen schon bald die dritte, kalte Flasche Weißwein. Unser alter Italiener ist voll in seinem Element. „Berlusconi ist tot“ ruft er laut (- auf italienisch natürlich -), als eine mit ihm wohl befreundete Italienerin aus einer anderen Gruppe vorbeiläuft und sich halb tot lacht über seinen Witz. Die Stimmung ist prächtig.
Picnic am Strand

So gegen 14.00 Uhr geht es wieder zurück. Auf dem Rückweg passieren wir mal wieder eine Bootsgruppe. Es dürften Hunderte von Booten sein. Es ist die größte Bootsparty des Kontinents, wie uns erklärt wird. Findet jeden Samstag hier statt. Also warum weiterfahren? Feiern wir doch einfach ein bisschen mit. Das Schiff kettet sich an eine etwas größere Jacht, auf der eine Menge junger Leute trinken und tanzen. Die Musik kommt unmittelbar neben uns von einem Schiff mit echtem DJ, der Technomusik vom Feinsten über das Meer bläst. Auch wenn das nur Wenige verstehen, bin ich ja ein echter Fan gut gemachter Technomusik – und die hier ist einfach hervorragend. Klingt so, als wäre sie in Frankfurt produziert worden. Dagmar springt ins Wasser und fürchtet sich plötzlich kein bisschen mehr vor den vielen anderen Booten. Ich will hinterher, aber da kommt schon der Befehl unseres „Captains“, dass wir jetzt wieder zurück müssen.

Technoparty im Meer

Viel zu früh verlassen wir also die Party (auf der wir ohnehin nichts zu Trinken bekommen haben) und donnern mit 150 PS zurück in den Hafen. Hier wartet schon unser Fahrer auf uns, derselbe vom Morgen. Seine Sorgen sind noch größer geworden, sein Redeschwall will nicht abebben, obwohl Dagmar und ich wirklich hundemüde sind. Wir erfahren, dass sein Sohn nicht bereit ist, nach der Schule auf den Feldern zu arbeiten – wie fast alle in seinem Alter. Also wird man Hilfsarbeiter aus Madagaskar oder Indien einführen müssen. Das passt ihm alles gar nicht. Schon zu viele Firmen würden ausschließlich mit eigenem, importiertem Personal arbeiten, was zu höherer Arbeitslosigkeit führen würde. Und nicht stimmt, denn es gibt viel zu tun. Mauritius will die Zahl von derzeit einer Million Touristen pro Jahr recht bald verdoppeln. Dafür werden eine Unmenge neuer Hotels gebaut. Die angeblich so unfähige Regierung baut Dutzende von neuen, schnellen Straßen. Es sickert immer wieder durch, dass Korruption hier wohl ein ernst zu nehmendes Thema ist. Die hohen Benzinkosten machen ihm das Leben schwer; ein neues Taxi kostet mehr als ein eigenes Haus, sagt er.
Ich verstehe seine Wut nicht wirklich, denn offensichtlich verstehen sich die über 50 verschiedenen Nationen, die hier miteinander arbeiten, trotz der 5-6 Hauptreligionen doch bestens. Weder sehen wir am Abend randalierende Jugendliche noch fürchten wir uns vor den überall rumsitzenden Männern, die man eher zur Unterschicht zählen muss. Im Gegenteil, alle haben ein freundliches „Bon Soir“ auf den Lippen, wenn man vorbeigeht. Wenn jemand neidisch auf mein Airbook schaut, dann ist das bestimmt kein Einheimischer, sondern ein Tourist. IT-Technik wird auf Madagaskar stark gefördert und der Handel mit chinesischer Hi-Tech-Ware macht einen großen Umfang des Bruttosozialproduktes aus. Die Zuckerrohrernte bringt zwar immer noch das meiste Geld, führt aber auch dazu, dass ein Viertel aller Inselbewohner mittlerweile an einer damit zusammenhängenden Diabetes leiden. Wie heißt es so schön in einem Schlager von Roy Black aus den fünfziger Jahren? „Du kannst nicht alles haben, das Glück, den Sonnenschein...“
Hier hat man schon nahezu alles.

Nach eineinhalb Stunden schwatzhafter Fahrt sind wir wieder im Hotel. Ich muss noch schnell was aufnehmen, während Daggi am Pool ein bisschen vor sich hin döst. Kurz vor sechs laufen wir dann – am Meer entlang – wieder nach Grand Baie. In „unserem“ Club ist noch Happy Hour. Ein Liter Bier für 120 Rupien = 3 Euro. Wir checken unsere Mails, ich schicke die Sprachaufnahme nach Hause und ruckzuck ist es Zeit für´s Abendessen. Nach dem Bier schaukelt die Umgebung ein wenig. War vielleicht doch zu viel Sonne auf dem Schiff...

Auch heute werden wir in dem Restaurant, in dem wir unser Hummeressen hatten, nicht enttäuscht. Ein grandioser Meeresfrüchtesalat macht den Anfang, gefolgt von Fisch-Curry für Dagmar und einem Filetsteak für mich. Letzteres war zwar nicht zäh, gehört aber offensichtlich nicht zu den Spezialitäten von Mauritius. Um einundzwanzig Uhr tritt dann auch noch eine grandiose Trommeltruppe mit vier Tänzerinnen in exotischen Kostümen auf. Die ethnischen Hintergründe sind uns unklar, aber es hat was mit Bauchtanz zu tun.
Sonnenuntergang - vom Restaurant aus gesehen

Aber wir sind müde und wollen den versäumten Schlaf nachholen. Blöderweise müssen wir dazu wieder an unserem WLAN-Lokal vorbei. Da treten auch zwei Live-Musiker auf. „Ne halbe Stunde haben wir doch noch, oder?“ fragt Daggi und steuert auf die Theke zu. Eine Flasche Rosé später wanken wir weiter. Auch in der Disco etwa 100 Meter weiter hören wir Live-Musik. Die Reinkarnation von Bob Marley steht auf der Bühne. Ein junger Rasta-Bursche mit einer unglaublich guten Stimme und perfektem Gitarrenspiel, begleitet von einem zweiten Gitarristen, zwingt uns leider zu einem weiteren Stopp.

Gegen Mitternacht beenden wir unseren 19-stündigen Partytag. Es ist ein perfekter Tag gewesen.

Heute, am Sonntag morgen, geht es uns zwar gut, aber das schwüle Wetter macht meinem Kreislauf schwer zu schaffen. Ich kann keine drei Zeilen lesen, ohne einzuschlafen. Also lege ich mich nach dem Frühstück gleich wieder in die klimatisierte Bude und penne, bis mich das Hausmädchen aufweckt. Dagmar ist wie immer sehr sportlich und dreht ein paar Runden im Pool. Nach dem Büffet-Mittagessen im Hotel verziehen sich die Wolken und die 33 Grad lassen sich einigermaßen aushalten. Daggi schwimmt und liest abwechselnd und ich schreibe hier im Schatten bei ständigem Wind an diesem Blog weiter.

Weitere Pläne haben wir bisher für heute nicht. Morgen ist ja auch wieder eine Tour angesagt. Dann geht’s in den Osten – zur Robinson Crusoe-Insel.

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